7 Dinge, die du von Drehbuchautoren lernen kannst
Hast du nicht auch schon einmal davon geträumt, dass dein Roman verfilmt wird? Fast jeder angehende Autor stellt sich seine Geschichte auf der großen Leinwand vor. In der Realität sieht das Ganze allerdings eher mau aus. Was du als Romanautor dennoch von Drehbuchautoren lernen kannst, erzählt dir heute die liebe Julia K. Stein in diesem Gastartikel.
Von Julia K. Stein
Erfolgreiche Drehbuchautoren – ohne Film
Neben Romanen habe ich vor einigen Jahren begonnen, mich mit dem Drehbuchschreiben zu beschäftigen. Derzeit arbeite ich gemeinsam mit einem Produzenten an der Entwicklung einer TV-Komödie. Von Drehbuchautoren kann man einige hilfreiche Lektionen über das Geschichten schreiben lernen. Ich habe dazu für den NaNoWriMo auch einmal ein Video gemacht:
Ich liebe Drehbücher, aber wenn du Romane schreibst, ist die Chance, dass dein Buch erscheint – so schwierig es einigen, die unveröffentlicht sind, erscheinen mag – viel größer!
Ich kenne viele Autoren, die Drehbücher verkaufen, sogar einen renommierten Preis dafür erhalten haben, deren Filme aber nie gemacht werden. Steven Spielberg – toll, wenn er Interesse an deinem Drehbuch hat – hortet massenhaft gute Drehbücher in seiner Firma und nur ein Bruchteil werden überhaupt umgesetzt. Ich weiß noch, wie die von mir geschätzte Autorin Lauren Oliver* die Filmrechte zur Delirium-Triologie verkaufte, sogar der Pilot mit Emma Roberts wurde teuer gedreht, aber kein TV Sender hat es gekauft. Damit war das Projekt tot.
Als Autor kannst du dein Buch im Zweifel selbst veröffentlichen. Ein verkauftes Drehbuch versumpft gar nicht selten in einer Schublade.
Ich hoffe, du fühlst dich jetzt besser!
Film ist nur ein anderes Medium für das Erzählen von Geschichten. Aber durch die Beschäftigung mit Film, Drehbuchautoren und Seminare (ich habe z.B. an der UCLA online Seminare belegt, weil ich nicht vor Ort sein konnte, auch die berühmte Film School bietet ja inzwischen aufwendige Programme online an) habe ich ein sehr strukturiertes Herangehen an die Handlung kennengelernt. Und das ist sehr hilfreich, gerade, wenn man anfängt.
Tipp 1: Struktur ist in Drehbüchern gut sichtbar
Das Gerüst der Geschichte in Drehbüchern ist häufig viel nackter – wunderbar, um den Aufbau genauer zu betrachten und zu analysieren.
Da Filmemachen teuer ist, wollen die Produzenten sichergehen, dass die Geschichte funktioniert. Wenn ein Drehbuch auf Papier nicht funktioniert, helfen auch der beste Regisseur, die teuerste Ausstattung und der berühmteste Schauspieler nicht: Die Geschichte floppt. Das führt bei den Drehbüchern von teuren Hollywood-Produktionen auf Roman-Basis allerdings auch dazu, dass unendlich viele Drehbuchautoren über das Manuskript rübergeschickt werden. Das kann das Buch zerstören kann und endet darin, dass der Ursprungsautor am Schluss noch nicht mal erwähnt wird – ein ewiger Streit in Hollywood über die Filmcredits – aber das hier nur am Rande.
Ich kenne Menschen, die schauen sich Filme nicht an, wenn mehr als zwei Drehbuchautoren auf dem Plakat stehen, weil sie wissen, was für ein Zerren und Ziehen mit dem Drehbuch veranstaltet worden ist.
Wir alle kennen das doch: Wir hatten uns so auf den neuen Film mit „XZ“ (hier Star einsetzen) gefreut, aber der Film war langweilig und hat uns emotional kalt gelassen.
Einfluss auf Romane
Gleichzeitig haben Filme und Fernsehen einen gewaltigen Einfluss auf heutige Romane. Vor zehn Jahren z. B. war bei Verlagen ein amerikanischer Schauplatz nicht gern gesehen. Ich habe grade zwei Verträge mit amerikanischen Schauplätzen (beide New York!) unterschrieben, der ausdrücklich gewünscht war. Die Zielgruppe, in meinem Fall sind das Leser von Jugendromanen mit einer zentralen Liebesgeschichte, sind amerikanische Schauplätze gewohnt – schließlich sind die erfolgreichsten Serien im Fernsehen amerikanisch. Diese Leser sind auch den Geschichtenaufbau gewohnt und kommen mit bestimmten Erwartungen ans Buch. Was kann man also konkret von Drehbuchautoren lernen?
Tipp 2: Sei klar und organisiert
(zumindest in der Struktur deines Romans)
Romanautoren gehen häufig viel entspannter an Struktur und Aufbau der Geschichte heran. Bei Drehbüchern steht die Struktur absolut im Vordergrund. Das kann zu diesen fürchterlich generischen Geschichten führen, wo man nach zehn Minuten den Verlauf des ganzen Films kennt. Gut gemacht führt die Struktur zu emotional packenden, ewigen Lieblingsfilmen wie Star Wars, When Harry met Sally oder You’ve got Mail, Gladiator oder Avatar.
Hollywood weiß, dass wir Menschen Geschichten erzählen, die schon andere Geschichten gehört, gelesen oder gesehen haben und deshalb bestimmte Erwartungen haben. Es ist ja kein Zufall, dass die Filmplakate sich ähneln. Der Zuschauer soll wissen, welches Genre er serviert bekommt. Wenn ich ein Buch mit rosa Herzchen kaufe, will ich auch keinen brutalen Massenmord erzählt bekommen. Das ist auch in Ordnung. Teilweise erfüllen wir die Erwartungen der Zuschauer, aber doch müssen wir ihn überraschen, um nicht ins Klischee zu fallen.
Meisterhaft ist das zum Beispiel bei Game of Thrones zu sehen. Der Autor hat viele Filme geschrieben und kennt die Erwartungen genau – und bricht sie. Aber er macht das so gut, dass er seine Leser nicht verliert, sondern fasziniert. Im Film wurden – ganz klar, weil die Produzenten hier mitredeten – viele Szenen publikumstauglicher gemacht, weil sie nicht zumutbar schienen.
Es gibt wundervolle Bücher über Drehbuchstruktur, die auch Romanautoren weiterhelfen. Allen ans Herz legen, die Probleme haben, würde ich Blake Snyders Save the Cat*. Er konzipiert 15 hilfreiche Plotpoints, die dem verzweifelten Roman-Autor aus der Klemme helfen, mehr als der viel zitierte 3-Akt „Anfang, Mitte Schluss“ (okay, und jetzt?) das vermag. Wer dazu etwas lesen möchte und evt. auch den Beat Sheet auf Deutsch und für Autoren adaptiert herunterladen, kann das hier tun.
Tipp 3: Filmlänge und Szenen sind streng limitiert
Da die Spielzeit bei Film minutengenau vorgegeben ist, können sich die Autoren keine unnützen Szenen erlauben und ausschweifend werden. Das heißt, sie müssen sich wirklich auf das Wesentliche konzentrieren und die langweiligen Szenen fallen weg. Und jeder kennt das: Man hat diese eine Szene, die man einfach wundervoll findet. Ich habe immer noch eine Beerdigungs-Szene, die ich irgendwie super finde, die bisher aus jedem Buch rausgeflogen ist, weil sie einfach keine Funktion erfüllt hat. Und jede Szene braucht eine Funktion. Jede Szene muss die Handlung nach vorn bringen. Das heißt nicht, dass du nicht unendliche lange Romane schreiben darfst (darfst du!), aber jede Szene muss etwas zur Handlung beitragen und nicht nur da sein, „weil du das schon immer mal sagen wolltest“.
Insgesamt hilft es, in Szenen zu denken. Eine durchschnittlich lange Geschichte in einem Roman hat 40-60 Szenen. Dabei sind Szenen in sich abgeschlossene kleine Sequenzen, die einen eigenen Mini-Spannungsbogen haben. Reden ein paar Figuren in der Geschichte über Belangloses und machen etwas, das nichts zur Handlung beiträgt, schalten wir um oder ab.
Du kannst dich bei jeder Szene in deinem Buch das Gleiche fragen: Was trägt sie zur Geschichte als Ganzes bei? Inwiefern bringt sie die Handlung nach vorn? Sonst fliegt sie raus.
Als weiteren hilfreichen Tipp, empfinde ich die „Filmweisheit“, dass der Startpunkt der Szene möglichst spät sein sollte. „Get in late and get out early“ ist so ein Satz, den Drehbuchautoren gern verwenden. Damit ist gemeint, dass man in der Mitte der Aktion einsteigt und das langweilige Vorgeplänkel so weit wie möglich weglässt.
Tipp 4: Dialog
Dialog ist im Film natürlich extrem wichtig. Er muss natürlich klingen, spannend sein, und sollte nicht die Handlung erzählen. Dialog ist kein Medium, um Informationen an den Zuschauer zu überbringen, das soll der Film mit Bildern machen. Niemand will moralisch oder sonst wie belehrt werden.
Man will durch Dialog etwas über den Charakter lernen und das Verhältnis mit den anderen Personen erleben. Das sollte auch für Dialoge in Romanen gelten. Auch dort sollte man versuchen, die Geschichte visuell und anschaulich zu erzählen – der Dialog hat die gleiche Funktion. Es gibt Literaturagenten, die sagen, sie lesen keine Bücher, wenn nicht zumindest auf den ersten paar Seiten Dialog vorkommt.
Ich liebe Beschreibungen, aber dennoch: zu viel Beschreibung, zu viel Erklärung langweilt. Die Szene stagniert, die Geschichte stagniert. Der Leser … legt das Buch zur Seite.
Tipp 5: Sei offen für andere Meinungen
Wenn du als Drehbuchautor arbeitest, bist du nie allein. Ein Film ist teuer zu produzieren und je teurer es wird, desto mehr Leute reden dir rein.
Dein Produzent hat eine Meinung, dein Co-Autor, der Sender, für den du schreibst, und gelegentlich sogar der Schauspieler, der den Text später vortragen soll.
Ich sehe meinen Text nicht als heilig an, ich bin bereit, genau zuzuhören, wenn jemand Vorschläge macht. Das ist bei Romanen auch der Fall, beim Drehbuch ist es noch viel ausgeprägter. Gerade die großen Fernsehserien sind normalerweise Teamarbeit. Da wird gemeinsam im Writer’s Room gearbeitet, unterschiedliche Autoren entwickeln die Figuren, es gibt verschiedene Plotliner, Dialoger und jemanden, der alles zusammensetzt, meist ein weiteres Team. Du lernst, dich von deinen Darlings am laufenden Band wieder zu verabschieden, weil sich jemand, der wichtiger ist als du (wahrscheinlich weil er für die Finanzen verantwortlich ist), das Ganze anders vorstellt, was letzte Woche noch alle wunderbar fanden.
Da hast du es mit einem Lektor, der ein paar Anmerkungen macht, viel einfacher! Aber wenn du dich darauf einlässt, kannst du viel mitnehmen. Denn normalerweise sind alle im Raum genauso besessen von Geschichten wie du. Natürlich solltest du auch mit deiner Lektorin diskutieren. Du solltest Dinge ablehnen, die dir widerstreben, nachdem du abgewogen hast. Aber häufig kann sie dir viel mitgeben und es lohnt sich, Dinge anzunehmen.
Tipp 6: Schreibe visuell und nutze Kameraeinstellungen
Ein Film ist visuell. Nun ja, das ist klar. Aber auch dein Buch sollte Show don’t tell beherzigen. Du kannst das nicht mehr hören? Ich eigentlich auch nicht. Aber Show don’t tell ist mehr als ein paar Adjektive zu benutzen, welche die Sinne ansprechen. Show don’t tell bedeutet, die Figuren in Gesten, in Handlungen darzustellen und sie nicht Weisheiten von sich geben zu lassen. Eine Person soll auch nicht mit „Sie ist geizig“ beschrieben werde, wir sehen lieber, wie sie sorgfältig ihr Geld abzählt. Drehbuchautoren können nicht viel erklären, sie müssen sich mit klug eingesetztem Dialog, kleinen Gesten etc. behelfen. Das sollten Romanautoren auch tun. Sie sind durch ihr Medium weniger begrenzt, aber das sollten sie nicht ausnutzen.
Am Eindringlichsten sind auch in Romanen die Szenen, die wie ein Film vor den Augen der Leserin entstehen, die die Leserin mit allen Sinnen in die Szenen hineinziehen.
Ich finde es hilfreich, beim Schreiben über Kameraeinstellungen nachzudenken. Wie „nah“ bist du an deiner Figur dran? Oder berichtest du gerade im Weitwinkel? Auch beim Schreiben kannst du die Einstellungen ändern – und somit die Erzählweise abwechslungsreicher gestalten.
Tipp 7: Die Einführungsszene
Vom Film können wir lernen, wie wir in eine Szene einsteigen.
Im Film gibt es die sogenannte Eröffnungsszene, den Establishing Shot. Hier wird dem Zuschauer gezeigt, wo wir uns befinden. Im Film sind das die Schnitte von Berlin Alexanderplatz und Reichstag und wir wissen, dass wir uns in Berlin befinden und erkennen auch die Jahreszeit. Oder wir sehen ein Bürogebäude von außen und danach ein Meeting, das darin stattfindet. Aber wir erfahren noch mehr über den Schauplatz: Wir bekommen eine Geisteshaltung vermittelt, Musik, die unterlegt ist, hilft dabei häufig, wir werden in Stimmung gebracht.
Übersetzt für den Romanautor bedeutet das, dass die Beschreibungen zu Beginn einer Szene eingefärbt sind. Auch wir wollen die Leser an den richtigen Ort und in die richtige Verfassung bringen – ist die Party gerade beschwingt, die Kleider der Gäste schillern farbenprächtig, das Tiramisu zergeht mit einer Geschmacksexplosion auf der Zunge oder redet eine Dame mit Lippenstift am Zahn ohne Unterlass mit greller Stimme auf den Helden ein – weil der Partygast gerade von seiner Freundin verlassen wurde? Die Beschreibungen der Umgebung sind ja immer durch die Stimmung der Perspektive gefärbt.
So, ich könnte noch ewig weiterschreiben, es gibt natürlich noch ganz andere Aspekte. Aber vor allem hoffe ich, dass ich dich ein wenig davon überzeugen konnte, dass es sich lohnt, Filme ganz systematisch zu schauen und von ihrer Struktur zu lernen.
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Julia K. Stein (jkstein.de) schreibt Jugendromane wie die Regenbogenzeit-Diologie oder Winterzauber in New York und Frauenromane wie „Liebe kann man nicht googeln“. Ihr nächster Roman All I want for Christmas, eine Liebesgeschichte in der Weihnachtszeit in New York erscheint im Oktober 2018 bei Ravensburger. Sie betreibt zudem einen Blog für Schreibinteressierte mit vielen Tipps auf xojulia.de
Luisa
Ein super spannender Artikel. Ich habe ehrlich gesagt noch nie wirklich drüber nachgedacht, wie mein Buch als Film aussehen könnte. Ich werde auf jeden Fall die Szenen und Dialoge nochmal überdenken. Danke für die vielen Informationen! LG Luisa
Tiphaine
das ist einer von den Artikeln, die ich liebe (und die Annika immer wieder aus dem Hut zaubert bzw. Kolleginnen „aus dem Kreuz leiert“: knapp, klar, brechend voll mit Info und kurzweilig geschrieben – filmreif xD
ich danke beiden Damen – für’s schreiben, zur Verfügung stellen und unter die Leute bringen, merci!
Silke
Danke für den Artikel. Kannst du den Link zu den UCLA-Kursen posten? Ich finde nur ein paar Videos auf Youtube und nichts auf der Webseite. Danke!
Bianca
Hallo Silke,
hier findest du die Undergraduate und Graduate Studiengänge der UCLA: http://www.tft.ucla.edu/programs/film-tv-digital-media-department/
Screenwriting ist ein Masterstudium, Infos findest du hier: http://www.tft.ucla.edu/programs/film-tv-digital-media-department/graduate-degrees/screenwriting-m-f-a/
Viele liebe Grüße,
Bianca
Milch
Kleine Gesten haben in Romanen nicht die Wirkung wie im Film, weil man sie erst kodieren muss, sofern es keine Standardgesten sind. Was ich als Bild sofort emotional verstehe, verstehe ich als Textzeile nicht sofort emotional, weil ich erst ein Bild im Kopf entstehen lassen muss.
Roman ist nicht visuell, da kann er nicht mit dem Film mithalten, aber er kann dynamisch sein.
Elma
Ein super Denkanstoß und sehr hilfreich!
liebe Grüße Elma