9 Tipps, um Atmosphäre oder Stimmung in Romanen zu erzeugen
Was gibt es Schöneres als sich in einem Horror-Roman zu gruseln, in einem Thriller Bauchkribbeln zu haben oder in einem Liebesroman Herzklopfen zu spüren?
Die Kunst, durch Worte Gefühle entstehen zu lassen, macht den besonderen Zauber des Schreibens und Lesens aus.
Die folgenden Tipps helfen dir, eine bestimmte Atmosphäre in deinen Szenen aufzubauen. Entscheidend ist dabei, dass du in deinen Szenen nachträglich in der Überarbeitung verschiedene der folgenden Mittel verwendest – häufig wirst du 2-3 dieser Punkte pro Seite oder pro Szene umsetzen.
Vorbereitung:
- Finde heraus, welche Atmosphäre du erzeugen willst. Welche „Stimmung“ willst du auslösen? Manchmal kann dafür ein Gefühl ausreichen („traurig“), manchmal ein Thema („weihnachtliche Atmosphäre“).
- Erstelle eine Liste mit Begriffen, die zu dieser Atmosphäre passen (hierfür könntest du auch KI einsetzen; ich rate dir, zuerst selbst zu überlegen, um deinen Kreativitätsmuskel aufzuwärmen und zu trainieren, und die Liste anschließend ergänzen zu lassen). Denke an die Einbeziehung aller Sinne.
Mit allen Sinnen schreiben
Nutze alle Sinne, um eine Stimmung zu erzeugen:
- Sehen: Farben, Licht, Schatten, Bewegung, Details in unterschiedlicher Tiefe
- Hören: Geräusche, Stimmen, Musik, Stille
- Riechen: Gerüche, Düfte, Gestank
- Fühlen: Texturen, Temperatur, Berührungen
- Schmecken: Geschmack
Beispiel: Statt nur zu schreiben „Der Park war ruhig“, kannst du die Sinne ansprechen:
Das Rascheln der Blätter im sanften Abendwind und der ferne Duft von frisch gemähtem Gras ließen den Park friedlich wirken.
Show, don’t tell
Zeige die Emotionen und die Atmosphäre durch Handlungen, Dialoge und Beschreibungen statt sie nur zu benennen.
Beispiel: Aus „Die Leute benahmen sich seltsam“ wird:
Auf seinem Gesicht öffnete sich ein breites Lächeln, und die Leute, die vorbeigingen, blickten auf, als er mit piepsiger Stimme sagte: „Heute verzeihe ich alles, mein lieber Herr, heute kann mich nichts aus der Bahn werfen! Freuen wir uns, denn Du-weißt-schon-wer ist endlich von uns gegangen! Selbst Muggel wie Sie sollten diesen freudigen Tag feiern!“ Und der alte Mann umarmte Mr Dursley ungefähr in Bauchhöhe und ging von dannen.
(„Harry Potter und der Stein der Weisen“ von J K Rowling)
Wortwahl und Sprachrhythmus
Wähle Wörter, die die Stimmung der Szene widerspiegeln. Die Wortwahl und der Satzrhythmus können die Atmosphäre stark beeinflussen.
Schau dir beispielsweise diese erste Seite aus dem Buch „Das Lächeln des Killers“ von J. D. Robb an (ich habe die Wörter eingekreist, die atmosphärisch wirken):
(Tipp: Nimm dir mal ein Buch vor uns analysiere selbst, welche Wörter verwendet werden, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen!)
Passe das Tempo deiner Erzählung an die Atmosphäre an. Ruhige Szenen können von langsameren, detaillierteren Beschreibungen profitieren, während actionreiche oder spannende Szenen durch schnelleres, abgehackteres Tempo lebendig werden.
Beispiel: In einer ruhigen Szene: „Langsam sank die Sonne hinter den Hügeln und färbte den Himmel in sanften Rosa- und Orangetönen.“
In einer spannenderen Szene:
Er raste durch die Gassen, das Herz hämmerte in seiner Brust, als er die Sirenen hinter sich hörte.
Symbolik und Metaphern
Verwende Symbole und Metaphern, um tiefere Bedeutungsebenen zu schaffen. Symbole können subtile Hinweise auf die Stimmung oder das Thema der Szene geben.
- Ein leeres Schaukelpferd im Regen könnte Einsamkeit oder verlorene Kindheit symbolisieren.
- Die welke Rose in „Die Schöne und das Biest“ symbolisiert das drohende Ende der Figur und erhöht den Zeitdruck. Es deutet auch auf Vergänglichkeit und Sterben hin.
- AURYN, das Zeichen der Kindlichen Kaiserin in „Die unendliche Geschichte“, fungiert als Symbol für die Verbindung zwischen Bewusstsein und Fantasie (Quelle)
Nutze das Setting als Charakter
Behandle die Umgebung (Setting) der Szene fast wie eine Figur. Beschreibe, wie sie auf die Ereignisse reagiert oder sie beeinflusst.
Der alte Baum im Garten, dessen Äste wie schützende Arme wirkten, raschelte beruhigend im Wind.
Figurenreaktionen als Stellvertreter
Nutze die Reaktionen deiner Figuren auf ihre Umgebung, um die Atmosphäre zu verstärken. Ihre Gefühle und körperlichen Reaktionen können die Stimmung der Szene widerspiegeln.
Er fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, als er die kalte, feuchte Luft des Kellers einatmete.
Innere Monologe, Gefühle und Gedanken beschreiben
Gib Einblicke in die Gedanken und Gefühle der Figuren, um ähnliche Gefühle bei den Lesenden auszulösen.
„Während sie dem Sonnenuntergang zusah, fragte sie sich, ob er jemals genauso fühlen würde wie sie jetzt – dieses überwältigende Gefühl von Hoffnung und Sehnsucht.“
Nutze Dialog und Körpersprache
Verwende Dialoge und Körpersprache, um die Stimmung der Szene zu verstärken. Die Art, wie Figuren sprechen und sich bewegen, kann viel über die Atmosphäre aussagen:
Kontext: „Gideon“ hat Charlie entführt (die Tochter des Ich-Erzählers und Ermittlers Joe). Joes Frau heißt Julianne und hat bis gerade eben mit dem Entführer telefoniert. Ich springe mitten in den Dialog, der entsteht, als Joe seiner Frau Julianne das Telefon aus der Hand nimmt:
„Ich glaube nicht, dass du in der Position bist, irgendwelche Forderungen zu stellen, Joe.“
„Ich werde keine Spielchen mit dir spielen, Gideon. Beweise mir, dass du Charlie hast, dann können wir reden. Ansonsten habe ich kein Interesse.“ Ich drücke auf den roten Knopf des Mobiltelefons und beende das Gespräch.
Julianne stürzt sich schreiend auf mich und versucht, mir das Telefon aus der Hand zu reißen. „Vertrau mir, ich weiß, was ich tue.“
„Leg nicht auf! Leg nicht auf!“
„Setz dich. Bitte. Vertrau mir.“
Das Telefon klingelt. Ich gehe ran. „Hol mir meine Tochter ans Telefon.“
Gideon explodiert. „MACH DAS VERDAMMT NOCH MAL NIE WIEDER MIT MIR!“
Ich lege auf.
Julianne schluchzt. „Er wird sie umbringen. Er wird umbringen.“
Das Telefon klingelt.
„ICH SCHWÖRE DIR, WENN DU DAS NOCH MAL MACHST, WERDE ICH –“
Ich drücke auf den Knopf und würge ihn ab. (…)
Julianne kämpft mit mir um das Handy und trommelt mit beiden Fäusten gegen meine Brust. Ich muss das Telefon außerhalb ihrer Reichweite halten.
„Lass mich mit ihm reden. Lass mich reden!“, schreit sie.
„Ich weiß, was ich tue.“
(„Dein Wille geschehe“ von Michael Robotham, übersetzt von Kristian Lutze)
Obwohl gar nicht viel Zeit darauf verwendet wird, die Atmosphäre zu beschreiben, wird sie durch den Dialog und kleine Einwürfe deutlich. In dieser Textpassage wird Dialog auch gut als „Show, don’t tell“ genutzt, beispielsweise durch das doppelte „Er wird sie umbringen“ von Julianne.
Kontrast nutzen
Setze Kontraste ein, um die Atmosphäre stärker hervorzuheben. Ein fröhliches Lachen in einer ansonsten stillen, düsteren Szene kann besonders intensiv wirken – oder auch anders herum: Eine stumme Träne auf der Wange eines Mädchens während einer Geburtstagsfeier erzeugt durch den Kontrast sofort Gänsehaut und Neugierde sowie Mitgefühl.
Zwischen den bunten Ballons, Luftschlangen und Konfettikrümeln, eingezwängt zwischen zwei Kindern, die lautstark „Happy Birthday“ johlten, rollte Emily eine stumme Träne über die Wange. Niemand bemerkte es.
So kommst du in Stimmung
Manchmal kann es dir schwerfallen, eine besondere Atmosphäre zu erzeugen, wenn du einen „Kaltstart“ hinlegst, also deine Kreativität noch nicht richtig aufgeweckt ist.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur empfehlen, im ersten Entwurf – der XXXL-Outline – nicht zu viel Wert auf Atmosphäre zu legen –> siehe diese Lektion.
Musik
Musik wirkt direkt auf unseren Körper. Suche dir eine (werbefreie) Playlist im Internet (YouTube, Spotify, …) oder erstelle dir eine eigene und tauche in die Stimmung ein, die du erzeugen willst.
Inspiration von anderen nutzen: Bücher, Filme, …
Sieh dir passende Filmszenen an oder lies Kapitel aus den Büchern, die die Stimmung haben, die du erzeugen willst.
Dein eigenes Setting
Es kann schwierig sein, im Hochsommer weihnachtliche Stimmung auszulösen, also überlege dir, was du äußerlich machen kannst, um deine Umgebung passend zu gestalten. Vielleicht hilft es auch, den Ort zu wechseln und beispielsweise im Dunklen zu schreiben (bei einer Horrorszene) oder im Café für eine geschäftige Stimmung.
Dazu gehören auch alle Sinne, also Gerüche, Musik, Kleidung/Temperatur etc.
Moodboard
Wir kennen den Begriff „Moodboard“ eher aus dem Marketing, aber du kannst Pinnwände (z.B. auf Pinterest) auch dafür benutzen, um selbst in Stimmung zu kommen. Lege dir passende Pinnwände mit entsprechenden Bildern an oder suche nach bestehenden Pinnwänden und lasse die Bilder auf dich wirken.
Ansonsten gilt: Die Stimmung kommt beim Schreiben! Zerdenke das Ganze nicht zu sehr, sondern fang einfach an 😉