Autobiografischer Roman: Wie schreibt man über sich selbst?
Vielleicht ist es ein subjektives Empfinden, aber ich habe das Gefühl, dass sehr, sehr, SEHR viele Menschen in den letzten Jahren damit liebäugeln, ihre Autobiografie zu schreiben.
Ich bekomme derzeit gehäuft Anfragen zu diesem Thema, meistens von angehenden Autorinnen und Autoren jenseits der 60, die über ihre Familiengeschichte schreiben wollen: Flucht aus Kriegsregionen, Neuanfänge, Wirtschaftsauf- und -abschwünge, gepaart mit persönlichen Liebesgeschichten und Schicksalen.
Sind Biografien auch Romane?
Oft stellt sich da am Anfang die Frage, wie man so etwas denn eigentlich aufschreibt. Ist eine Biografie ein Roman? Kann man die gleichen Grundsätze zugrunde legen? Oder ist es vielmehr eine Erzählung, eine Art Tagebuch?
Ja, das alles. Du kannst deine eigenen Erlebnisse sowohl als Roman aufschreiben als auch als Tagebuch oder als mix aus beidem – dir sind in der Kunst keine Grenzen gesetzt. Empfehlen würde ich dir aber dennoch, dich zumindest für eine Richtung zu entscheiden und diese dann auszuprobieren, statt ein großes Stil-Potpourri zu mixen.
Der autobiografische Roman
Ich gehe in diesem Artikel mal nur auf Romane ein, die auf wahren Geschichten basieren. Dazu muss ich sagen, dass das nicht mein Fachgebiet ist. Ich kenne mich bestens mit Fiktion aus – mit der Erstellung von erfundenen Figuren und Hirngespinsten, die als Tatsachen verkauft werden.
Beim autobiografischen Roman verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Beim Lesen weiß man nicht, ob das, was einem erzählt wird, tatsächlich so passiert ist oder ob es „zur Geschichte gehört“.
Jede/r Autor/in entscheidet dabei selbst, wie hoch der Anteil wahrer Begebenheiten ist.
„Ich möchte nichts verändern.“
Das wäre ja alles eigentlich kein Grund, um einen eigenen Artikel über Biografien zu schreiben. Schließlich beinhaltet fast jeder Roman irgendwelche Parallelen zu tatsächlichen Ereignissen und niemand weiß genau, was Fiktion ist und was nicht.
Das größte Problem beim Schreiben von Autobiografien in Romanform ist der Widerwille zur Anpassung an Schreibregeln.
Wenn ich, zum Beispiel im Rahmen eines Schreib-Workshops, auf autobiografische Geschichten stoße, kommt es oft vor, dass die Autoren nicht Willens sind, etwas an der Geschichte zu verändern, weil es „ja nun einmal so stattgefunden hat.“
Beispiel:
Elvira schreibt über ihre Beziehung zu einem suchtkranken Mann. Es soll ein Liebesdrama werden.
Als Schreibcoach empfehle ich ihr, die Nebenfigur Hannah zu streichen, da sie nichts zu der Geschichte beiträgt, was relevant ist. Elvira weigert sich. Hannah ist doch wichtig in ihrem Leben! Hannah sei eben immer da gewesen, aber im Hintergrund.
Ich schlage dann vor, der Figur „Hannah“ eine Aufgabe (Funktion) zu geben, zum Beispiel als „beste Freundin“ (aka Sidekick), bei der sich die Protagonistin ausweinen kann, wenn wir sie schon nicht streichen wollen.
Elvira weigert sich. Sie habe sich nie bei Hannah ausgeweint, sondern immer alles für sich behalten. Das sei ihr für die Geschichte auch wichtig.
Und so geht es weiter. An den Protagonisten darf nichts verändert werden, weil es dann ja nicht der Wahrheit entspräche. Die Geschichte darf nicht verändert werden, weil sie sich nun einmal so zugetragen hat.
Erkennst du das Dilemma?
Die meisten Autobiografien entsprechen nicht dem allgemeinen Lesergeschmack, wenn sie so aufgeschrieben werden, wie sie tatsächlich passiert sind. Man müsste sie kürzen, chronologische Reihenfolgen möglicherweise ändern und auch Situationen so umschreiben, dass sie spannender oder konfliktreicher sind.
Natürlich ruft das die Frage auf, ob man denn auf den Geschmack des Lesers/der Leserin Rücksicht nehmen sollte. Da wir hier auf einem Blog sind, bei dem es darum geht, eine möglichst hohe Anzahl an Büchern zu verkaufen, um vom Schreiben von Büchern leben zu können, muss ich diese Frage ganz klar mit JA beantworten.
Ja, es ist wichtig, sich wenigstens damit auseinanderzusetzen.
Tipp: Lege zuerst dein Ziel fest
Um aus diesem Dilemma zu kommen, ist es wichtig, sich zunächst darüber im Klaren zu sein, warum man seine Geschichte überhaupt aufschreiben will.
- Willst du Erlebtes verarbeiten?
- Willst du anderen Menschen zeigen, wie du das Erlebte verarbeitet hast, damit sie daraus lernen können?
- Willst du als Zeitzeuge agieren und für die Nachwelt festhalten, was tatsächlich passiert ist?
- Willst du fremde Menschen mit deiner Geschichte unterhalten?
- Willst du viele Bücher verkaufen oder geht es dir in erster Linie darum, deine Geschichte zu verschriftlichen?
- Hat deine Geschichte ein gesellschaftsrelevantes Thema, das die Menschen interessieren wird?
Je nach dem, wie du diese Fragen beantwortest, sieht dein Weg für dein Buch unterschiedlich aus.
So oder so: Ich ermutige dich sehr herzlich, deine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und sei es nur für dich selbst! Es ist unglaublich bereichernd, die eigenen Gedanken und Erlebnisse festzuhalten.
Szenario 1: Die reine Autobiografie
Wenn du feststellst, dass du an der Geschichte, wie du sie erlebt hast, möglichst nichts verändern willst, schreibst du eine Autobiografie. Es gibt im Internet einige Seiten, die dir bei der Strukturierung helfen, denn mit der klassischen Herangehensweise für Romane kommst du nicht weit.
10 Tipps für Biografien auf schreiben-und-leben
Anleitung zum Schreiben einer Biografie auf epubli
Tipps zum Schreiben einer Autobiografie auf Senioren-Ratgeber
6 mögliche Anfänge bei einer Autobiografie
Szenario 2: Der verkappte Ratgeber
Es gibt viele Ratgeber, die in Romanform verfasst wurden oder zumindest mit einer Erzählung vermischt werden. Ein Beispiel hierfür ist „Die 7 Geheimnisse der Schildkröte„*, wo es um Achtsamkeit im Alltag geht, demonstriert an kleinen Märchen.
Wenn du ein klar umrissenes Thema hast, zu dem du den Menschen helfen willst – beispielsweise, wie man mit Schicksalsschlägen umgeht und wieder Glück im Leben findet – dann kannst du die Grundlagen des Sachbuchschreibens lernen und so deine Botschaft in einer Geschichte vermitteln. Du kombinierst also Ratgeber und Roman.
Aber Achtung: Obwohl es bei vielen Autoren beliebt ist, diese Kombination auszuprobieren, wird sie in der Praxis nicht so gern gelesen, da die allermeisten Leser/innen entweder einen Roman ODER einen Ratgeber haben wollen und keine Kombination. Das sollte dich aber nicht vom Schreiben abhalten, wenn es für deine Variante die beste Lösung ist.
Buch: „Erfolgreich als Sachbuch-Autor“*
Szenario 3: Autobiografie in Romanform
Bleibt noch die Kategorie, die auf die ich anfangs als einzige eingehen wollte: Deine Geschichte verpackt in einem Roman.
Du entscheidest selbst, wie viel du von deiner wahren Geschichte zugunsten der Kunst und des „guten Erzählens“ abrücken willst.
Wenn du deine Geschichte genau so aufschreiben willst, wie sie passiert ist, schaue dir bitte die Links aus Szenario 1 an. Zusätzlich lege ich dir reine Schreibhandwerksratgeber ans Herz, beispielsweise:
50 Werkzeuge für gutes Schreiben*
Bessere! Romane! Schreiben! 1-3*
Bist du bereit, ein wenig an der Geschichte zu feilen – sie also stellenweise zu kürzen oder Veränderungen an den Figuren vorzunehmen – kannst du deinen autobiografischen Roman im Grunde genau so behandeln wie ein ganz normales Romanprojekt. Mein Schreibkurs kann dir dabei beispielsweise helfen. Frage dich einfach bei jeder Entscheidung, die du treffen musst: Inwieweit bin ich gewillt, die Wahrheit zu Gunsten der Unterhaltung zu verändern?
Alternative zum Buch: Soziale Medien
Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass du natürlich nicht gleich ein Buch schreiben musst, wenn es darum geht, deine Erinnerungen und Erlebnisse zu teilen.
Du kannst einen Blog ins Leben rufen und dort deine Gedanken mitteilen (ich mache das zum Beispiel auf annikabuehnemann.de seit Neuestem wieder).
Oder du freundest dich mit einem der sozialen Netzwerke an (Instagram beispielsweise oder Facebook) und teilst dort deine Erfahrungen.
Auch das gute alte Tagebuch leistet noch immer seine Dienste, wie schon seit hunderten von Jahren. Man muss seine Erinnerungen nicht zwingend digital festhalten! (Stelle aber sicher, dass deine Nachfahren deine Notizen und Texte auch in zwanzig oder fünfzig Jahren noch lesen können – das gilt auch für die sozialen Netzwerke, wenn du das als Vermächtnis hinterlassen willst).
Hab Mut und halte durch!
Schreiben macht zwar viel Spaß, ist aber auch Arbeit. Egal, welche Szenario deiner Lebenswelt entspricht, ich möchte dich ermutigen, das Projekt „Buch“ in Angriff zu nehmen.
Ich persönlich würde mich unheimlich freuen, wenn es heute Aufzeichnungen meiner Großeltern gäbe oder wenn meine Eltern Tagebuch geführt hätten, und wenn es nur über unser normales Familienleben gewesen wäre.
Erinnerungen sind kostbar und niemand hat das Leben geführt, das du führst.
Teile sie mit uns. Egal, auf welchem Weg.
Ich freue mich schon auf deine Erfahrungswerte!
Reiner Küster
alles sehr interessant ich habe nur Angst vor der Arbeit
rolf Schütt
HALLO.ICH BIN HIER GELANDET,WEIL ICH LÄNGER SCHON DADRÜBER NACHDENKE MEIN ABENTEUERLEBEN NIEDERZUSCHREIBEN.DAMIT AUCH ANDERE DAVON PROFITIEREN KÖNNEN…GLAUB ICH?? ABER NUN.IM MOMENT MÖCHTE ICH MICH BEDANKEN FÜR IHRE WIRKLICH TOLLE.EHRLICHE.VERSTÄNDLICHE eRKLÄHRUNNG IN IHRER TOLLEN VIDEOANSAGE! DANKE DAFÜR! DA HABE ICH SCHON VIEL GELERNT UND Viele ANREGUNGEN GESPEICHERT.EINE LIEBEN GRUSS ROLF
Annette Mertens
Sehr gut zusammengefasst, bringt dein Artikel das Problem auf den Punkt..och wollte eine Lebenserfahrung als Roman veröffentlichen und habe sehr bald gemerkt, wie sehr ich die Realität verändern und verbiegen musste. Es ist mir aber gelungen, das Buch „Annas Blut“ wird sehr begeistert von ebenfalls Betroffenen gelesen.
Erika Retzlaff
Hallo Annika!
Ich habe dir mit großem Interesse zugehört.Danke dafür.
Seit über 40 Jahren schreibe ich mein Leben in Tagebücher.
Ich denke, es müsste daraus ein autobiografischer Roman entstehen können.
Ich lebe seit 10 Jahren in Frankreich und habe Zeit dafür…auch ein bisschen Angst …Höhen und Tiefen noch einmal zu erleben!
Vielleicht hast du Lust , mir zu antworten?
Liebe Grüße von Erika
Johannes
Hallo Annika,
vielen Dank für deinen informativen Übersichtsartikel zum autobiografischen Roman. Mich würde sehr interessieren, ob du deine Tipps auch für die Erstellung einer Video-Biografie empfehlen würdest? Denn auch die filmische Form dient ja dem Zweck, nämlich die eigenen persönlichen Erinnerungen und die eigene Lebensgeschichte für die Nachwelt festzuhalten.
Viele Grüße und danke für deine Arbeit,
Johannes
Annika Bühnemann
Hallo Johannes, mit Video-Biografien kenne ich mich Null aus, deshalb kann ich dazu nichts sagen. Ich denke aber mal, dass es ähnlich sein wird 😉
Liebe Grüße! Annika
Jennifer Lange
Ich habe mich vor 7 Jahren dazu entschieden ein autobiographisches Werk verfassen zu wollen, über meine Krebserkrankung und die kreative Arbeit als Regisseurin. Eigentlich sollte es eine Gesellschaftskritik werden. Jetzt hat es sich sehr weiter entwickelt und ich mich selbst super kennengelernt. Letztendlich war ich erst zufrieden, nachdem es mir nicht mehr wichtig war etwas bestimmtes Abzubilden, als meine Erfahrung zu rekapitulieren.
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Ilona
Was ich auch spannend finden würde wäre ein Märchen zu schreiben.
Ich bin am überlegen, ob ich die Biographie von meiner Tochter
(Heilung von Magersucht), als Märchen schreiben sollte.
Wäre vielleicht etwas anderes.
Annelie Havenstein
Ich schreibe gerade einige Episoden aus den Mexiko-Reisen mit meiner Schwester in den Achtziger Jahren auf. Es ist zwar selbst erlebt, aber in erster Linie zeigt es auf humorvolle Art, was uns zwei blauäugigen Europäerinnen so im mexikanischen Alltag widerfahren ist. Dabei schreibe ich erst alles – damit ich die Personen auf die Reihe kriege – mit echten Namen auf, werde die aber zum Schluss ändern.
Das wird dann wohl ein kleiner Reiseroman, der aus mehreren Episoden besteht, alle mit wahren Geschichten, aber einem Augenzwinkern.
Wie nennt man sowas dann?
Deine Seite ist toll, Annika!
Liebe Grüße aus Bremen
Annelie
Engel
Ich schreibe nicht autobiografisch. Ich kann verstehen, dass man sich an die Wahrheit halten möchte, wenn man eine Autobiografie schreibt. Da will man alles korrekt wiedergeben. Als Leser erwarte ich es auch. Selbst das Selbsterlebte sollte man schriftstellerisch gestalten, hier eher durch eine besondere Sprache.
Um ehrlich zu sein, die wenigsten haben eine wirklich spannende Lebensgeschichten zu erzählen, so dass Leser sie unbedingt lesen wollen.Viele Erlebnisse ähneln sich häufig. Manchmal kann der Autor sich dabei behelfen, dass er eine besondere Haltung zu seiner Geschichte entwickelt.
Britta Banowski
alle deine Tipps zur Autobiografie sind sehr gut von dir interpretiert und erklärt worden. Ich schrieb meine gleich am Anfang meiner Autoren-Tätigkeit 2015 und bei meiner ersten Lesung war mir nicht bewusst, wie kritisch ich wirklich geschrieben habe.
Titel: „Eine Frau zwischen Ost und West“ Zeit für Veränderungen