Was wir von den Autoren von „Downton Abbey“ lernen können
Kennst du die Erfolgsserie „Downton Abbey“? Falls nicht: Sieh sie dir an! Es ist eine wahnsinnig gut durchdachte Serie, von der wir, was das Plot-Handwerk betrifft, noch viel lernen können.
Ich werde versuchen, die Handlung nicht zu spoilern. Da es hier und da aber unerlässlich ist, auf einzelne Charaktere einzugehen, habe ich mehr Informationen in aufklappbare Boxen integriert.
Was können wir also von den Autoren von „Downton Abbey“ lernen?
Keine Angst vor großen Casts
Es geht bei „Downton Abbey“ um das Anwesen „Downton Abbey“ und um die Familiengeschichten dazu. Wir lernen die Familie Grantham kennen, der das Anwesen (und einige Ländereien) gehört, aber auch die Bediensteten des Hauses und ihre Probleme.
Die Familie besteht aus den Eltern und ihren drei Töchtern, sowie der Großmutter und – im Laufe der ersten Staffel – einer Cousine dritten Grades und ihrem Sohn. Hinzu kommen Ehemänner, weitere Geschwister und Anverwandten der Eltern, sodass wir letztlich bei 18 Familienmitgliedern landen.
Das Haus wird von einer Reihe Bediensteter in Schuss gehalten, 7 davon sind ständige Charaktere durch alle Episoden, insgesamt zählen aber 17 Bedienstete zum „Main Cast“. Einige von ihnen haben dabei nur Staffelauftritte oder ihnen wird im Laufe der Serie gekündigt.
Bei rund 35 festen Figuren plus einigen mit Gastauftritt gibt es natürlich viel Explosionsstoff: Beziehungen zwischen Figuren, die nicht standesgemäß sind (die Geschichte spielt Anfang des 20. Jahrhunderts), Kriege, gesellschaftliche Veränderungen (mit Bedrohung des englischen Adels), persönliche Probleme und so weiter.
Komplexe Figuren zahlen sich aus
Antagonisten müssen nicht immer nur böse sein und Helden nicht immer nur gut – das weißt du sicherlich schon.
Gerade bei Dramen, Liebesromanen oder Gesellschaftsromanen sind die Antagonisten nicht immer „nur böse“. Sie haben einen Beweggrund, so zu handeln, wie sie es tun. Als Leser (oder Zuschauer) können wir nachvollziehen, warum der Antagonist so ist, wie er ist – oder warum es nicht nur einen Antagonisten gibt.
Die Figuren bei „Downton Abbey“ sind komplex gestaltet, hier ein paar Beispiele:
- Lady Mary: Sie provoziert unheimlich gern und hat einen Sturkopf, der sie oft in Probleme bringt. Zu ihren Schwestern – besonders zu Edith – ist sie eher unfreundlich und zeigt das ganz offen. Ediths Probleme interessieren sie nicht. Auf der anderen Seite ist sie ein loyaler Mensch und hilft beispielsweise ihrer Zofe, wenn es drauf ankommt. Sie kann Geheimnisse bewahren, scheut sich aber auch nicht, ihr Wissen einzusetzen, wenn sie damit ihren Willen bekommt.
- Mr. Bates: Wohl eine der Lieblingsfiguren der Serie. Mr. Bates hat eine äußere Verletzung (er braucht einen Krückstock), ist aber von der Statur her ein „Bär von Mann“. Er kann aufrichtig lieben und ist loyal bis in die letzte Zelle, andererseits kann er furchteinflößend sein, wenn jemand die bedroht, die er liebt und wir trauen ihm durchaus einen Mord zu, wenn es denn sein muss. Trotzdem ist er so unendlich liebenswert, dass wir ihm auch Fehltritte verzeihen würden.
- Lord Grantham: Er hält an den alten Werten fest und hat sein Leben ganz der Erhaltung von Downton Abbey gewidmet. Wenn er persönlich beleidigt wird, kann er nicht drüberstehen, sondern ist erzürnt und wird laut. Er wird sowieso gerne laut und kann dann auch unfair werden. Allerdings hat er die Größe, sich für seine Fehler ehrlich zu entschuldigen. Da er oft aufbrausend sein kann, wird er in viele Geheimnisse (der Frauen) nicht eingeweiht, weshalb er sich manchmal wie ein Außenseiter vorkommt, was ihn wiederum ärgerlich macht. Seine Tierliebe ist sehr groß (er ist vernarrt in seine Labradorhündin Isis) und er liebt seine Frau auf eine sehr tiefe Art und Weise – was ihn dennoch nicht vor Fehltritten schützt.
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[su_spoiler title=“Spoiler zur Figur Thomas Barrow“ style=“fancy“]Wir lernen Thomas als ersten Diener kennen, der später zum Unterbutler aufsteigt. Er ist ein skurpelloser Typ, der allerdings viel Pech im Leben hat und ständig von der Gesellschaft ausgeschlossen ist – sei es durch eigenes Verschulden oder durch äußere Umstände, die er nicht beeinflussen kann, wie beispielsweise seine Homosexualität. Er stiftet gerne Unfrieden und sieht mit Vergnügen dabei zu, wie andere Leute leiden. Außerdem kann er gut manipulieren, was er am Küchenmädchen Daisy bereits in der ersten Staffel zeigt. Thomas ist stets darauf bedacht, einen eigenen Vorteil aus etwas zu schlagen, was ihm manchmal gelingt, in vielen Fällen aber auch nicht, sondern seine Situation nur noch verschlimmert.[/su_spoiler]
[su_spoiler title=“Spoiler zur Figur Sarah O’Brien“ style=“fancy“]Die Zofe der Gräfin gehört ebenfalls zu den antagonistischen Kräften und kooperiert zu Beginn mit Thomas, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Da sie – wie Thomas – den Kammerdiener Mr. Bates nicht mag und will, dass er gefeuert wird, sorgt sie dafür, ihn regelmäßig in Schwierigkeiten zu bringen. Sie ist verbittert, hat aber ein Herz und ein Gewissen (im Gegensatz zu Thomas) und wird im Laufe der Serie auch „weicher“. Durch einen großen Fehler kann sie der Familie Grantham nicht mehr in die Augen blicken und verlässt Downton Abbey zu Beginn der vierten Staffel.[/su_spoiler]
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Man braucht nicht immer Antagonisten
Wir haben in Downton Abbey nicht „den einen“ Antagonisten, sondern immer so genannte antagonistische Kräfte: Situationen, Systeme und Personen, die Konflikte schüren und die Figuren davon abhalten, ihre Ziele zu erreichen:
- Das Unglück auf der Titanic gefährdet in letzter Konsequenz die Zukunft der Familie Grantham
- Die Dickköpfigkeit von Lady Mary verschlimmert regelmäßig die Situationen und schürt neue Konflikte
- Dass die Familie nur Töchter hat, gefährdet nicht nur die Existenz der Familie, sondern auch der Angestellten
- Der Krieg wirbelt alles durcheinander, als gerade Ruhe einkehrt
- Gesellschaftliche Zwänge schüren Konflikte (uneheliche Kinder, unehelicher Sex, Beziehungen zwischen ungleichen Ständen, etc.)
- und so weiter
Die Konflikte sind fein ineinander verwoben, bauen aufeinander auf und werden aus unterschiedlichsten Richtungen befeuert. Alle Handlungsstränge haben ihre eigenen antagonistischen Kräfte, die sich manchmal potenzieren.
(Ich würde das jetzt liebend gerne ausweiten, aber das geht nicht ohne Spoiler. Schau dir mal eine Folge an und versuche selbst, herauszufinden, welche Konflikte behandelt werden 🙂 ).
Konflikte ineinander verweben (und nicht sofort lösen)
Es ist schon erstaunlich, wie viele Konflikte in einer einzigen Episode aufgeworfen werden, und sie sind ineinander verwoben und haben auf viele Figuren Auswirkungen. Manchmal gibt es nur kleine Konflikte, die sich innerhalb einer Episode lösen lassen, andere Konflikte bleiben über mehrere Staffeln erhalten. Außerdem schaffen es dir Autoren, neue Konflikte aufgrund der Lösung alter Konflikte zu erschaffen:
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[su_spoiler title=“Beispiel Kemal Pamuk (großer Spoiler!)“ style=“fancy“]Die erste Staffel bietet bereits viel Zündstoff für die Figuren. Lady Mary, die gezwungen werden soll, endlich zu heiraten und so das Vermögen und Anwesen der Familie zu sichern, hat ein Techtelmechtel mit dem Attaché des türkischen Botschafters, Kemal Pamuk. Dummerweise erleidet dieser während ihrer Liebesnacht einen Herzanfall und stirbt, woraufhin Mary und ihre Zofe Anna die Leiche aus Marys Raum tragen und zurück in Kemals Schlafzimmer bringen, denn wenn herauskommt, dass die beiden Sex hatten, wäre Mary für den Heiratsmarkt verdorben. Allerdings werden sie dabei von einer Angestellten beobachtet, was später dazu führt, dass Mary erpresst wird. In Staffel 5 trifft Mary dann auf einen potenziellen neuen Heiratskandidaten, mit dem sie jedoch erst „austesten“ will, ob sie auch wirklich zusammenpassen. Die Geschichte mit Kemal Pamuk spielt hier noch immer eine Rolle, da Mary dem anderen klarmacht, dass es Geheimnisse um sie gibt, die mehr als nur einen Skandal auslösen würden. Das Techtelmechtel mit dem Attaché zieht sich durch alle Staffeln und sorgt stets dafür, dass dieser Konflikt unterschwellig immer wieder zur Sprache kommt.[/su_spoiler]
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Die Konflikte dauern teilweise über mehrere Staffeln an und werden mit der Zeit schlimmer (Beispiel: Liebesbeziehung von Lady Edith).
Ich möchte hier nicht zu sehr ins Detail gehen. Wenn dich die Konflikte interessieren, lies dir die Handlungsbeschreibung zu den einzelnen Staffeln durch – oder, noch besser: Schau dir die Serie an!
Spannung durch häufige Perspektivwechsel
Die erste Episode von Downton Abbey in Staffel 1 hat rund 65 einzelne Szenen und fast genau so häufig wechselt auch die Erzählperspektive. Hier mal ein Auszug:
- Szene: Eine Nachricht wird gemorst, gleichzeitig begleitet die Kamera Mr. Bates im Zug. Die Postfrau liest das Telegramm und sagt: „Oh mein Gott“ (…)
- Szene: Zimmer von Anna und Gwen. Küchenmädchen Daisy weckt die beiden Dienstmädchen
- Szene: Küche. Mrs Patmore fragt Daisy ab, ob sie alle möglichen Arbeiten erledigt hat, Thomas fragt nach William
- Szene: Im Salon. Anna und Gwen schlagen die Kissen auf und necken Daisy, die Angst vor Elektrizität hat
- Szene: Carsons Büro. William sagt Mr. Carson, dass das Frühstück für die Lordschaft bereitet ist.
- Szene: Im Salon. Mrs Hughes macht bei Anna und Daisy Druck, sich zu beeilen
- Szene: Draußen. Der Zeitungsjunge kommt. Drinnen: Lady Mary sieht ihn vom Fenster aus und betätigt ihre Glocke.
- Szene: Raum der Angestellten. Die Glocke (die Lady Mary ja eben betätigt hat) geht, Anna unterbricht ihre Tätigkeit;
O’Brien und Gwen machen sich auf zu Ihrer Ladayschaft, gleichzeitig klingelt die Rücktür: William geht hin. - Szene: Hintertür: Der Zeitungsjunge kriegt Rüffel von William, dass er zu spät ist. Dieser antwortet: „Sie sehen gleich, warum.“
- Szene: Büro von Mr. Carson. William bügelt die Zeitungen und erhält Auftrag, wie er das machen soll.
- Szene: Raum der Angestellten. Daisy wundert sich über das Bügeln, OBrien erklärt es. William kommt herein und sagt zu
Mr. Carson: „Das sollten Sie sich ansehen.“ - Szene: Küche. Mrs Hughes und Mrs Patmore sprechen über ein schreckliches Ereignis, man ahnt, dass es heute in der Zeitung stand. Thomas fragt: „Ist es wahr?“, William: „Sieht so aus.“ Sie verlassen den Raum.
- Szene: Frühstücksraum der Lordschaft. Dialog zwischen dem Earl und Carson.
Wenn du dir dazu mal die entsprechenden Szenen ansiehst, wird das Ganze etwas klarer. Die Perspektive wechselt auch in den folgenden Episoden sehr häufig und endet oft mittendrin oder mit einem Cliffhanger. Mehrere Handlunggstränge laufen parallel, die manchmal nichts miteinander zu tun haben, manchmal aber verwoben sind.
Beeindruckende Recherche
Zuletzt möchte ich noch erwähnen, dass Downton Abbey sehr gut recherchiert ist. Die Autoren haben mit Historikern zusammengearbeitet und sich ein genaues Bild davon gemacht, wie so ein Anwesen damals bewirtschaftet wurde, welche Aufgaben die Angestellten hatten und wie der Tagesablauf der Lordschaft war, außerdem sind viele liebevolle Details eingearbeitet, die der ganzen Geschichte eine große Glaubhaftigkeit verleihen.
Fällt dir noch mehr ein?
Falls du auch ein Downton Abbey-Fan bist, fallen die vielleicht noch mehr Beispiele ein, wie die Serie uns beim Schreiben helfen kann. Was kannst du von den Autoren lernen? Die Kommentarsektion freut sich auf dich.
Milch
Downton Abbey bindet das Zeitgeschehen meist eher hintergründig und in Details ein. Bei Mad Men funktioniert es noch besser.
Und die Optik ist grandios, aber davon können wir Autoren nichts lernen.
Nicole
Ich liebe es auch!
Thomas is einer meiner Lieblibgscharaktere, weil er so schön zwiespältig ist.
Speziell an der Serie finde ich auch, dass die Spannungsbögen sich so gekonnt überlappen.
Ich schätze es sehr, das Downton Abbey trotz extremen Erfolg nicht noch weitere Staffeln gemacht hat (auch wenn ich es ewig hätte weiterschauen können). Für das Aufhören, wenn die Serie noch voll funktioniert und nicht erst, wenn Zuschauerzahlen sinken, kriegt die Serie nochmals einen Pluspunkt.
Caro
Downton Abbey war bei mir Liebe auf den ersten Blick (Trailer gesehen und gewusst: Das muss ich sehen!). Schade, dass die Serie vorbei ist.