Subtil vs. offensichtlich: Finde die Balance bei deinen Beschreibungen!
Eine Szene, die um die Welt ging und damals ein absolutes Tabu war:
Die Kutschen-Szene in Gustave Flauberts „Madame Bouvary“. Eine Ehefrau geht hierbei fremd und lässt sich auf ein Schäferstündchen in einer Kutsche ein. Als Leser*in „sehen“ wir jedoch nur die Kutsche, die hin und her schwankt. Eine subtile, aber effektvolle Szene.
Eine ähnliche Szene (die zugleich als bildliches Zitat an „Madame Bovary“ verstanden werden kann) ist die Szene bei „Titanic“, in der ein von innen beschlagenes Auto zu sehen ist, an dessen Fensterscheibe eine Hand schlägt. Diese Szene könnte subtil sein – wenn nicht vorher und nachher gezeigt worden wäre, wie das Liebespaar sich im Auto küsst und nach dem Akt noch miteinander Liebesschwüre austauscht.
Wie subtil du bei der Beschreibung deiner Szenen bist, ist auch eine Stilfrage. Ich bemerke in vielen Liebesromanen den Trend, dass Subtilität fast gar nicht mehr benutzt wird, sondern alles explizit ausgeschrieben wird.
In einer Zeit der Überinformation und immerwährender Nacktheit kann eine subtile Beschreibung ein interessantes Gegengewicht darstellen. Statt zu beschreiben, wie Figuren Sex haben, finde dafür Vergleiche oder Metaphern und beflügele die Fantasie der Lesenden. Zur Veranschaulichung hier einmal die Szene aus „Madame Bovary“, aus Platzgründen nur die letzten Sätze:
(Er |der Kutscher] begriff nicht, welche Bewegungswut in seinen Fahrgästen steckte, so dass sie nirgends haltmachen wollten. Er versuchte es ein paarmal, aber jedesmal erhob sich hinter ihm ein zorniger Ruf. Von neuem trieb er seine warm gewordenen Pferde an und fuhr wieder weiter, unbekümmert, ob er hier und dort mit etwas zusammenstieß, ganz außer Fassung und dem Weinen nahe vor Durst, Erschöpfung und Traurigkeit. (…)
Die Beschreibung des Kutschers ist eigentlich eine Beschreibung der beiden Liebenden in der Kutsche. Mit keinem Wort wird das der Leserschaft erklärt, aber es ergibt sich aus dem Kontext. Der Kutscher ist nicht „dem Weinen nahe, erschöpft und traurig“, sondern Madame Bovary, die in ihrem Leben keinen Sinn sieht. Indem du als Autor*in nicht alles haarklein erklärst, sondern Interpretationen zulässt, bekommt deine Geschichte eine neue Ebene.
Eine Frage des Stils
Natürlich heißt das nicht, dass du in deinem Liebesroman keine Sexszenen beschreiben sollst – ich möchte dir lediglich die Optionen mitgeben, die du hast. In manchen (Sub)Genres erwartet man explizite Beschreibungen. In anderen Genres wirkt das hingegen plump und man erwartet mehr Subtilität. Auch hier ist es also wieder wichtig, seine Leserschaft zu kennen. Was erwarten sie von Büchern wie deinem? Und es ist eine Frage des Stils. Passt Subtilität zu dir? Hast du Spaß daran, Dinge anzudeuten und Interpretationsspielraum zu geben? Oder schreibst du lieber direkt und unverschnörkelt? Es ist deine Wahl.
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