Wie du ein fesselndes erstes Kapitel schreibst
Der potenzielle Leser schlägt dein Buch auf und beginnt, die erste Seite zu lesen. Schaffst du es, ihn zu überzeugen, dein Buch zu kaufen? Mit den Tipps von Tanja Hanika, wie du ein fesselndes erstes Kapitel schreibst, klappt es bestimmt!
Von Tanja Hanika
Wenn potenzielle Leser dein Buch erst in den Händen halten, ist es nicht nur der berühmte erste Satz, der darüber entscheidet, ob sie das Buch lesen möchten oder ob sie es zurück ins Regal stellen. Damit die Leser dein Buch nicht mehr aus der Hand legen, kannst du beim Schreiben des ersten Kapitels auf einige Aspekte achten. Ich verrate dir hier, auf welche.
Das Versprechen an die Leser
In den ersten Seiten eines Romans stellen sich die Leser auf deinen Stil, bzw. auf den Stil des Textes ein. Sie lernen nicht nur die Figuren kennen, sondern stellen auch erste Vermutungen über deren Entwicklung und über den Fortlauf der Geschichte an. Daher ist es wichtig, in den ersten Seiten bereits den sprachlichen Stil gefunden zu haben, der auch im restlichen Roman verwendet wird. Die Leser wollen schließlich wissen, womit sie ihre Zeit verbringen werden.
Es gilt, erste Details, Hinweise und Informationen einzustreuen und Figuren zu etablieren, die sich zwar entwickeln, aber dennoch ihrem Charakter dabei treu bleiben. Wenn die Leser schon zu Beginn des Romans ein Gespür dafür entwickeln können, welche Leseerfahrung auf sie zukommt und das (abgesehen von geschickt eingeführten Twists) auch zutrifft, werden sie am Ende das Buch zufrieden weglegen und die Geschichte rund empfinden.
Damit wurde das Versprechen eingehalten.
Warum ein Prolog kein erstes Kapitel ist
Einen Prolog benutzt man bestenfalls nur dann, wenn er aus der Perspektive einer Figur erzählt wird, die später nicht mehr eingenommen wird und / oder in einem deutlich abgrenzbaren Setting stattfindet, also zu einer anderen Zeit respektive an einem anderen Ort.
Ein Prolog stellt also nicht eine besondere Art erstes Kapitel dar, sondern Handlung, die vor oder nach dem Beginn der dann fortlaufenden Handlung im ersten Kapitel liegt. Dementsprechend kann sich hier die Perspektive auch von dem des ersten Kapitels unterscheiden, doch das stellt kein Bruch des soeben erläuterten Versprechens dar.
Ein Prolog sollte immer eine Daseinsberechtigung haben. Bedenke, dass viele Leser den Prolog überspringen! Überlege dir also genau, warum du einen Prolog einbauen möchtest und was der Leser davon hat.
Die Erzählstimme finden
Sofern der Roman nicht mit einem Prolog startet, ist es wichtig, schon auf den ersten Seiten die Erzählperspektive zu verwenden, die auch bis Ende des Romans eingehalten wird. Die Leser gewöhnen sich, wie bereits erwähnt, an den sprachlichen Stil des Autors bzw. an die Erzählstimme.
Dabei stellen Perspektivwechsel, also das Erzählen aus den Sichtweisen verschiedener Figuren, kein Problem dar. Die jeweilige Erzählperspektive sollte im jeweiligen Abschnitt natürlich eingehalten werden, weswegen meistens auch davon auszugehen ist, dass im ersten Kapitel nur eine Perspektive benutzt wird.
Brüche in der Erzählperspektive sind als Stilmittel denkbar, aber vorsichtig und gekonnt einzusetzen. Bei allen Perspektivwechseln und eventuell sogar -brüchen, werden die Leser es zu schätzen wissen, wenn ihnen die zuvor etablierte Erzählstimme dabei erhalten bleibt.
(Tipp: Wie du deine eigene Schreibstimme entwickelst und wie sich die von der Erzählstimme deines Romans unterscheidet, lernst du auch im WOW-Kurs!)
Einbauen des Settings
Schon früh brauchen die Leser eine Orientierung, wo und wann die Geschichte spielt, damit sie vor ihrem inneren Auge lebendig werden kann. Gerade die Orte der Handlung können einen besonderen Reiz auf die Leser ausüben, falls sie untypisch gewählt sind. Zu Anfang gilt, dass die Leser den Ort kennenlernen wollen, aber dafür müssen sie nicht sofort jedes Detail erfahren. Gerade im ersten Kapitel sind kleine, aber gezielt eingesetzte Details mehr wert, als lange Beschreibungen. Auch sie lassen Räume und Orte plastisch vorstellbar werden, ohne dass alles genau beschrieben werden muss.
Gerne darfst du dich um die Regel „Show, don’t tell“ bemühen, denn zu viel Beschreibung (tell) nimmt den Schwung aus der Geschichte, wo sie in Fahrt kommen und damit die Leser besonders fesseln könnte.
Bezüglich der Zeit, in der der Roman spielt, kannst du dem Text Lebendigkeit verleihen, indem du diese Zeit nicht nur nennst, sondern dich auch typischer, aber nicht klischeehafter Hinweise bedienst: Spielt die Geschichte beispielsweise im Frühling, benutze statt Blumenduft Pollen, die in der allergischen Nase kitzeln oder bei Herbsttexten statt raschelndem Herbstlaub Kastanien, die der Protagonist vor sich her kickt.
Andeutung von Prämisse und Grundproblem
Eine Prämisse ist die (oft moralische) Grundaussage, die im Verlauf der Geschichte beschrieben wird (mehr zur Prämisse findest du hier). Was ist für den Protagonisten im Hauptkonflikt wichtig? Sie zeigt außerdem das Endergebnis des Konflikts. Die Prämisse bleibt den gesamten Text hindurch relevant, auch wenn sie nicht ständig anklingt.
Die Leser bereits im ersten Kapitel ahnen zu lassen, welche Prämisse dem Roman zugrunde liegt, kann ihr Interesse am Text insgesamt steigern. Sie erfahren von den Grundproblemen des Protagonisten und bekommen eine Ahnung davon, welche Hürden sich diesem stellen könnten.
Zeige dem Leser also, dass die Geschichte nicht nur im ersten Kapitel, sondern das ganze Buch hindurch sein Interesse wecken wird, da es auf (moralische) Grundaussagen aufbaut, die ihn ansprechen. Auch spannend kann es sein, einem Protagonisten zu folgen, der den eigenen Werten konträr entgegensteht und mitzuerleben, welche Folgen das für ihn hat.
Ein erstes Date mit dem Protagonisten
Im ersten Kapitel lernen die Leser deinen Protagonisten oder deine Protagonistin kennen. Auch hier gilt, dass sich der Charakter deiner Figur im Verlauf der Geschichte noch entfalten und sich mit den Erlebnissen auch verändern wird. Es muss den Lesern also im ersten Kapitel keine Charakterstudie dargeboten werden.
Wie genau das Äußere der Figur beschrieben wird, obliegt dem einzelnen Autor. Erwähne aber äußerliche Besonderheiten nicht zu spät, denn das würde das Bild zerstören, das die Leser sich bis dahin gemacht haben. Diese Besonderheiten kannst du also früh, vielleicht schon im ersten Kapitel, einbeziehen, sofern es sich dabei nicht um einen geplanten Twist handelt.
Es gilt beim ersten Kennenlernen, die Sympathien der Leser zu gewinnen und den Protagonisten so anzulegen, dass die Leser ihre Zeit mit ihm verbringen möchten.
Was an der Figur ist interessant, sodass sie eine lesenswerte Geschichte erleben wird?
In den meisten Romanen wird gerade im ersten Kapitel Identifikationspotenzial mit dem Protagonisten geboten, damit die Leser besonders tief in die Geschichte eintauchen können.
Der beste Einstiegsmoment
In Schreibratgebern wird oft darauf hingewiesen, dass man so spät wie möglich in die Geschichte einsteigen und sie am Ende so früh wie möglich wieder verlassen soll. Man setzt also in den allerletzten Alltagsmomenten des Protagonisten ein, damit die Leser dabei sind, wenn der erste Funke gezündet wird, der für den Protagonisten alles auf den Kopf stellt. Die Leser konnten aber die Ausgangssituation noch kennenlernen, bevor der Protagonist in die Handlung gestürzt wird.
Mit den ersten Handlungen des Protagonisten wird klar, wie er tickt und welche Geschichte auf ihn zukommen kann. Die ersten Hürden werden angedeutet und der Kampfgeist des Protagonist geweckt, diese auch zu nehmen.
Der erste Satz
Ein allzu bekannter Schreibtipp lautet, dass der erste Satz perfekt gewählt sein muss. Er soll verlocken, fesseln und neugierig machen. Dabei darf er sich aber nicht der Effekthascherei bedienen.
Ein gelungener Einstieg in die Geschichte ist wichtig, sollte aber nicht nur für den ersten Satz, sondern für das gesamte erste Kapitel angestrebt werden. Der erste Satz verlockt dazu, auch den zweiten zu lesen und so weiter.
Mache dir nicht all zu viele Sorgen um den ersten Satz, sondern behalte das große Ganze im Blick: Die erste Seite, das erste Kapitel, den ersten Akt und die ganze Geschichte.
Cliffhanger am Ende nicht vergessen
Ein beliebtes Mittel, um die Leser daran zu hindern, das Buch aus der Hand zu legen, ist der Cliffhanger am Ende eines Kapitels (mehr zu Cliffhangern findest du hier). Dafür kann eine bedeutsame Frage aufgeworfen werden oder das Kapitel endet, wenn etwas für eine Figur gerade besonders in der Schwebe ist.
Die Leser müssen Mutmaßungen anstellen können und wollen, wie es weitergeht, sie müssen so neugierig sein, dass sie gerade diese eine Sache noch erfahren wollen, bevor sie aufhören zu lesen. Bis die Leser diese erfahren, sind sie natürlich längst im nächsten Kapitel angelangt und der nächste kleinere Spannungsbogen unter dem großen, übergeordneten Spannungsbogen greift.
Auch im ersten Kapitel kann diese Technik schon verwendet werden. Wenn Fragen beantwortet werden, wirft der geschickte Autor also dabei gleich größere, bedeutsamere Fragen auf und die Leser schaffen es nicht, sich der Geschichte zu entziehen. Spannung entsteht.
Ich hoffe, diese Tipps konnten dir eine Idee für dein erstes Kapitel geben. Viel Spaß bei der Umsetzung!
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Tanja Hanika ist Autorin von Horror- und Schauerromanen und Verfasserin vom »Arbeitsbuch für Schriftsteller«. Geboren wurde sie 1988 in Speyer, studierte in Trier Germanistik und zog anschließend in die schaurig-schöne Eifel, wo sie mit Mann, Sohn und zwei Katzen lebt. Seit sie mit acht Jahren eine »Dracula«-Ausgabe für Kinder in die Hände bekam, schreibt sie Gruselgeschichten und hat wie wohl die meisten Autoren, mehr erste als letzte Kapitel geschrieben.
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Und noch ein Geschenk für dich:
Du möchtest nicht nur das erste Kapitel planen, sondern auch deinen gesamten Roman plotten? Tanjas »Arbeitsbuch für Schriftsteller*« könnte dir mit Leitfäden, Checklisten und Planungsmodelle sowohl für Plot also auch für Figuren behilflich sein.
Tanja war so lieb, dir ein mehrseitiges PDF zur Verfügung zu stellen, mit dem du den Einstieg in deinen Roman fesselnd gestalten kannst. Trage dich einfach hier ein, um das PDF herunterzuladen:
Vielen lieben Dank an Tanja für die Einblicke in ein erstes Kapitel!
Welchen Tipps fandest du besonders wertvoll? Schreib es gerne in die Kommentare! 🙂
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Lila
Der Post kommt gerade richtig für mich. Ich hab in den letzten drei Wochen mein erstes Kapitel extrem gekürzt und war mir nicht mehr sicher, ob ich nicht zu viel raus genommen habe. Es sind gefühlt 90% Dialog und 10% Beschreibung. Mir liegt dieses emotionale Schreiben (s.o. Pollen) überhaupt nicht, weil ich nicht mit „offenen Sinnen“ durch die Welt spaziere, sondern mit „wachem Geist“. Wenn man es umgeht, landet man ja schnell wieder beim Show don’t tell. Das verwirrrt mich total… Oder gibt es Wege Beschreibungen zu vermeiden, wenn man eher ein rationaler Mensch ist?! Und wie viel Beschreibung ist am Anfang okay?