Wie du mit Nebenfiguren deine Hauptfiguren zum Strahlen bringst
Figuren für seinen Roman zu erschaffen, ist ein wunderbarer und kreativer Prozess, der den allermeisten Autoren so großen Spaß macht, dass sie gar nicht genug davon bekommen können (und oft zu viele Figuren in ihrem Plot haben, die keine echte Funktion besitzen). Lass uns mal anschauen, wie Nebenfiguren dabei helfen können, deine Hauptfigur dreidimensionaler erscheinen zu lassen und ihr zu helfen, über sich hinaus zu wachsen.
Niemand ist eine Insel
Es gibt diesen schönen Satz „No man is an island“ – niemand ist eine Insel. Außer er ist ein Eremit. Jeder Mensch umgibt sich mit irgendwelchen anderen Menschen, und so besteht dein Roman in der Regel auch aus mehreren Figuren. Aber anders als im realen Leben, sollten in deinem Roman nur Figuren aktiv werden, die eine Aufgabe haben: Sie erschaffen neue Konflikte, helfen der Hauptfigur beim inneren Wachstum. Nebenfiguren existieren, um Dinge zu tun, die deine Hauptfigur zum Reagieren bringen und wir Leser ihn somit besser kennenlernen (und er vielleicht näher an sein Ziel kommt – oder weiter davon entfernt wird).
Rollen verschiedener Figuren im Roman
In deiner Geschichte gibt es nicht nur die Hauptfigur(en), sondern auch Begleiter mit unterschiedlicher Wichtigkeit. Ganz generell lassen sich Romanfiguren zunächst in eine dieser Kategorien unterteilen:
Hauptfiguren und Protagonisten
Eine Geschichte handelt von einem oder mehreren Protagonisten und wird von einer oder mehreren Hauptfiguren erzählt (in der Regel handelt es sich hierbei um die gleiche Person): Harry Potter, Frodo Beutlin, Katniss Everdeen, Dr. Faust, …
Antagonist
Wenn er eine Person ist (was in den meisten Fällen sinnvoll ist – selbst wenn er nur die Verkörperung einer abstrakten antagonistischen Kraft ist), kann der Antagonist mit zu den Hauptfiguren gezählt werden, auch wenn die Geschichte nicht aus seinem Blickwinkel erzählt wird. Manche Schreibcoaches kategorisieren den Antagonisten auch als Nebenfigur. Er ist derjenige, der den Plot meistens erst ins Rollen bringt (nicht immer!) und die Situation für den Helden verschärft. Ein Antagonist muss nicht immer durch und durch böse sein. Kann er aber.
Beispiele: Voldemort, Sauron, President Snow
Nebenfiguren
Die Nebenfiguren kommen mit dem Protagonisten in Kontakt, aber die Hauptgeschichte dreht sich nicht um sie. Sie unterstützen oder hemmen den Protagonisten bei der Erreichung seines Ziels.
Nebenfiguren passen in unterschiedliche Rollen:
Sidekick
Ein Freund oder Begleiter des Helden, der häufig die Fragen stellt, die der Leser auch hat. Er ist nicht ganz so glanzvoll wie der Held, aber bleibt dennoch oft im Kopf. Ohne den Sidekick kann der Held seine Aufgaben oft nicht lösen.
Beispiele: Ron Weasley und Hermine Granger, Dr. Watson, Samweis Gamdschie.
Botschafter oder Herold
Die Figur, die dem Helden den „Ruf zum Abenteuer“ überbringt – wobei dies nicht immer durch eine Figur gemacht werden muss. Oft geht diese Rolle in anderen Nebenfiguren auf.
Beispiele: Hagrid, Gandalf, Effie Trinket
Mentor
Eine Figur, die dem Helden in der Not den entscheidenden Hinweis gibt, um eine Schwäche zu überwinden, wodurch er dann einen wichtigen Konflikt löst. Er verkörpert die Lektion, die der Held lernen muss und steht auch beratend zur Seite. Dabei kann er völlig unterschiedlich ausgestaltet sein: Gandalf ist ein klassischer Mentor, wie man ihn von der „Heldenreise“ kennt, aber auch „Haymitch Abernathy“ aus „Die Tribute von Panem“ ist ein Mentor, wenngleich einer, auf den man sich nicht zu 100 % verlassen sollte (er trinkt viel und hat ein schlechtes Benehmen).
Faustregel: Der Mentor hat das, was der Held machen oder erreichen muss, selbst in früherer Zeit bereits erfolgreich in ähnlicher Art und Weise erlebt und geschafft und kann ihm somit als Einziger helfen (Gandalf hat als Zauberer schon ähnlich große Kriege gewonnen wie den, den Frodo verhindern will. Haymitch ist der Einzige aus Katniss‘ Distrikt, der die Hungerspiele mal überlebt hat).
Handlanger oder Verführer
Die rechte Hand des Antagonisten. Häufig ist er brutaler und gefürchteter als der Antagonist selbst, aber nicht immer. Der Handlanger erledigt die schmutzige Arbeit für den Antagonisten und/oder versucht, den Helden auf seine Seite zu ziehen. Meistens steht er dem Antagonisten unglaublich loyal zur Seite.
Beispiele: Peter Pettigrew und Bellatrix Lestrange, der Sheriff von Nottingham (Robin Hood)
Love Interest
Jemand, für den der Protagonist Gefühle entwickelt. Er/Sie wirkt wie ein Katalysator für den Helden: Wenn er einmal Probleme hat, kann er sie durch seine Liebe zu dieser Figur überwinden und schöpft neue Motivation, wenn er mit ihr zusammen ist oder an sie denkt. Übrigens braucht nicht jede Geschichte zwingend eine Liebesgeschichte, aber die meisten Leser mögen es sehr gerne.
Beispiele: Neytiri aus „Avatar“, Edward aus „Pretty Woman“
Skeptiker
Der Skeptiker geht häufig in anderen Figuren auf. Er zweifelt an allem: der Mission, den Fähigkeiten des Helden, seinen Entscheidungen, dem positiven Ausgang des Abenteuers, … Kann gut eingesetzt werden, um weitere Konflikte zu kreieren.
Und es gibt weitere, auf die wir aber an dieser Stelle nicht weiter eingehen (Gestaltwandler, Schwellenhüter, etc.)
Extras/Statisten
Eine Schule mit nur fünf Schülern ist nicht sehr authentisch, also brauchen wir mehr Figuren, um das ganze realistisch aussehen zu lassen. Gleiches gilt für andere Schauplätze, an denen deine Geschichte spielt: Der Verkäufer im Coffeeshop, die Passanten in der Fußgängerzone, die Krieger in der Schlacht, etc. Das sind Figuren, die erwähnt werden, um Authentizität zu schaffen, aber nicht immer einen unmittelbaren Einfluss auf den Helden haben.
Beispiele: Die meisten Schüler in Harry Potter, die Freunde von Bella Swan in Twilight (wobei hier einzelne Figuren auch Rollen von oben übernehmen)
Wie du gute Nebenfiguren erschaffst
Auch Nebenfiguren brauchen ihre Daseinsberechtigung und sollten dreidimensional erschaffen sein. Die Funktion einer Nebenfigur ist immer, den Helden weiterzubringen oder von seiner Mission abzuhalten.
Ein gutes Beispiel ist „Rue“ aus „Die Tribute von Panem“: Sie ist eine der 12 Teilnehmerinnen der Hungerspiele und wird von allen unterschätzt, da sie erst 12 Jahre alt ist. Im ersten Band ist sie es jedoch, die Katniss emotional über sich herauswachsen lässt und ihrem Handeln mehr Tiefe verleiht (ich werde hier nicht alles spoilern, empfehle dir aber, den Film* oder das Buch* anzusehen/zu lesen und über die Figuren dort nachzudenken, da sie alle handwerklich sehr gut gemacht sind).
Halte dich beim Konstruieren dieser Figuren an diese Tipps:
Mache sie zum Neinsager
Es ist langweilig, wenn die Nebenfigur immer mit der Hauptfigur einer Meinung ist. Selbst unter besten Freunden, Familienmitgliedern oder Liebenden gibt es Meinungsverschiedenheiten. Erschaffe jemanden, der die Entscheidungen des Helden regelmäßig in Frage stellt, im Falle des Falles aber hinter ihm steht.
Gib ihnen ein Geheimnis
Was ist spannend an Romanfiguren? Dass man sie immer besser kennenlernt und dabei regelmäßig überrascht wird. Wenn du deinen Nebenfiguren kleine Geheimnisse gibst, die erst nach und nach offenbar werden, weil sie sie vor der Hauptfigur geheimhalten, verleihst du ihnen damit Mehrdimensionalität.
Lass sie sich entwickeln
Auch die Nebenfiguren sollten eine Entwicklung durchgehen. Welche Hürden haben sie zu überwinden? Diese Hürden können ein Subplot sein (beispielsweise könnte die Nebenfigur von der Gruppe getrennt werden) und sollte den Hauptplot voranbringen (z.B. könnte durch das Verschwinden der Nebenfigur etwas ausgelöst werden, das den Helden von seiner Mission abzubringen droht).
Mache sie zum Gegengewicht des Helden
Wenn deine Protagonistin eine unsichere Mauerblume ist, stelle ihr ein selbstbewusstes Model als Antagonistin gegenüber und gib ihr das beliebte Mädchen der Schule als Sidekick an die Hand. Durch die unterschiedlichen Eigenschaften entsteht gleich eine Eigendynamik.
Harry Potter ist ein mutiger Junge, der die Regeln bricht, um an sein Ziel zu gelangen. „Zufällig“ ist seine beste Freundin die Klassenstreberin, der die Einhaltung der Regeln immens wichtig ist und die als Stimme der Vernunft agiert.
Gib ihr Einfluss auf den Protagonisten
Eine Nebenfigur, die den Helden in keiner Weise beeinflusst, ist für den Roman nicht wichtig genug. Wo wäre Harry Potter ohne Ron, Hermine, Hagrid oder Dumbledore? Was hätte Katniss gemacht, wenn sie keinen Peetah gehabt hätte?
Mache den Test: Ist meine Nebenfigur überflüssig?
In meinem Schreibkurs gibt es einen kleinen Test, den du machen kannst, um die Wichtigkeit deiner Nebenfigur zu testen.
Die einfache Leitfrage lautet: Würde sich die Geschichte verändern, wenn es diese Figur nicht mehr gäbe? Wenn die Antwort „Nein“ lautet, dann streiche die Figur aus deiner Geschichte oder verändere sie so, dass sie einen Einfluss bekommt.
Weil ich oft danach gefragt werde: Ja, auch Statisten (siehe oben) haben eine Funktion! Wenn es in Hogwarts keine Schüler mehr gäbe, würde es die Geschichte massiv beeinflussen, weil die Authentizität wegfiele. Harry müsste sich fragen, warum er, Ron, Hermine, Hagrid, Dumbledore etc. die einzigen Menschen in Hogwarts sind und die Geschichte wäre eine ganz andere.
Anna
Hallo Annika!
Ich bin vor kurzem auf deinen Blog aufmerksam geworden, um meinen eigenen Roman zu verbessern 🙂 Deine Tipps sind sehr hilfreich und haben mich auch zum Nachdenken und Umschreiben gebracht. Hast du zufällig Buchtipps, die sich damit befassen, wie man die Nebencharaktere am Besten darstellt? Dein Kurs klingt sehr vielversprechend, vielleicht melde ich mich auch an 🙂 Wie intensiv wird das Thema dort aufgearbeitet? 🙂
Viele Grüße,
Anna
Pingback: Die Woche im Rückblick 06.07. bis 12.07.2018 - Wieken-Verlag Autorenservice
Cedric
Eine Geschichte ohne Nebenfiguren ist wie Kaffee ohne Wasser, riecht gut, macht aber irgendwie keinen Sinn. Auch wenn sie nicht die Hauptrolle spielen, ist es ihr gutes Recht sorgfältig behandelt zu werden. Wer weiß, vielleicht entwickeln sie eine eigene Dynamik, die von ihnen niemand erwartet hätte.
Anika
Danke für deinen Artikel. Leider sind die Begrifflichkeiten sehr stark an der Heldenreise orientiert. Ich selbst nutze diese bewusst nicht. Der Sidekick hat für mich auch eine vollkommen andere Bedeutung. An sich also sehr interessant, aber für mich nicht wirklich umsetzbar/nutzbar.
Steffi B.
Dieser Artikel gefällt mir sehr gut. Und außerdem wollte ich noch erwähnen, dass du mir noch bevor ich ihn überhaupt gelesen hatte, schon ein bisschen geholfen hast, nämlich mit der Charakterisierung der Figuren von Harry Potter in deinem Newsletter. Ich soll für einen Verlag meine eigenen Figuren eine Charakterdefinition erstellen – so könnte das also auch aussehen 🙂
Thomas Otterpohl
Hallo Annika, der heutige Artikel gefällt mir sehr gut, eine prima Zusammenfassung der verschiedenen Typen. Gedanklich bin ich dabei gerade mein erstes Buchprojekt durchgegangen und werde versuchen, die Charaktere noch etwas mehr zu schärfen. Ich werde mir auch Kateikarten dafür anlegen, für jeden Typ eine, und die Figuren spezieller anlegen. Der Artikel kam gerade zur rechten Zeit und ich bedanke mich auch für viele sonstige Anregungen, die ich von Deinem Blog Fischen konnte.
Liebe Grüße Thomas
Diana Naumann
Hallo Annika, wieder ein sehr interessanter Artikel und ich stelle fest, dass ich bei meinem ersten Roman intuitiv sehr vieles richtig gemacht habe. Allerdings hatte ich auch viel Hilfe von meinen Lektoren und Schreibfreunden. Dennoch wundere ich mich immer noch darüber, dass sich eine Nebenfigur die nur eine Miniszene im Plot hatte, sich von mir unbemerkt zu einer der wichtigsten Helfer meiner Hauptfigur entwickelt hat. Nun sind die Rückmeldungen so, dass er von vielen die Lieblingsfigur und nicht mehr aus dem Jugendfanthasieroman weg zu denken ist. Jetzt liegt die schwierige Aufgabe vor mir ihn in die folgenden Bücher mit ein zu bauen. Ich warte noch auf die richtige Eingebung. Dein Artikel hat mir dabei sehr weiter geholfen.
Hans Sachs
Hey, Annika, du machst dir wirklich viel Arbeit, neben deiner Mutterschaft. Ich habe schon eine Menge aus deinen Beiträgen entnommen, ebenfalls aus dem WOW-Kurs. Ich glaube, es hat mich in meinem Schreibstil vorangebracht. Wenn ich mein erstes Buch mit meinem Dritten vergleiche, oder mit dem, an dem ich gerade schreibe……Liebe Grüße